Der Berliner Politologe Michael Kohlstruck über die Politik gegen Rechtsextremismus, Gegendemos in Halbe und sein neues Buch

"Das rebellierende Kind gegen die Moderne“

 

Herr Dr. Kohlstruck, in dem von Andreas Klärner und Ihnen herausgegebenen und jüngst erschienenen Buch „Moderner Rechtsextremismus in Deutschland“ sprechen sie davon, dass der Rechtsextremismus in den vergangenen 15 Jahren zu einer sozialen Bewegung geworden ist. So eine These klingt bedrohlich. Müssen auch die Brandenburger Angst vor dieser rechtsextremen Bewegung haben?


„Soziale Bewegung“ heißt in der Sprache der Sozialwissenschaften, dass wir es beim heutigen Rechtsextremismus nicht wie bisher nur mit festen Organisationen, also etwa rechtsextremen Parteien und Vereinen zu tun haben, sondern darüber hinaus ein ganzes Spektrum von Akteuren beobachten können. Dazu gehören einzelne Polit-Aktivisten, die seit Jahren in der Szene den Ton angeben. Dazu gehören auch Musikgruppen und prominente Interpreten sowie eine Reihe von Versandhäusern, die das nötige Outfit und Schriftgut liefern. Und schließlich die Schlägerszene, die jeden „Fremden“ zum Opfer machen. „Soziale Bewegung“ bezieht sich auf die innere Vielfalt, nicht auf den Umfang einer Strömung.

Es gibt eine ganze Reihe neuerer Bücher zu dem Thema. Der Journalisten Toralf Staud hat in seinem Buch „Moderne Nazis“ die These aufgestellt, dass Rechtsextreme die „Provinz“ in den neuen Bundesländern mit einer „kulturellen Dominanz“ ihrer Themen besonders im Jugendbereich unterwandern. Sehen Sie dafür auch Anzeichen in Brandenburg?

Rechtsextreme Polit-Aktivisten versuchen mit verschiedenen Mitteln, gerade junge Leute für ihre Bewegung zu interessieren und für ihre Sache zu gewinnen. Man kann auch in Brandenburg beobachten, dass sie dabei professioneller geworden sind und an die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen anzuknüpfen versuchen. Nachtwanderungen, Lagerfeuer, ein Ort, wo man sich treffen kann - das sind niedrigschwellige Angebote.

Die Unterwanderung ist ein Punkt, dann gibt es aber auch die öffentlichkeitswirksamen Symbolpunkte wie den Soldatenfriedhof Halbe in Brandenburg. Manche fragen sich: Ist es wirklich nötig, dass dort parallel zu jedem rechtsextremen Aufmarsch eine riesige Gegendemo stattfindet?

Zu den in unserem Buch dargestellten neuen Strategien von Rechtsextremen gehört die Demonstrationspolitik. Halbe ist ein symbolträchtiger Ort, an dem versucht wird, rechtsextreme Demos als Teil der gesellschaftlichen Normalität zu etablieren. Dieses Ziel verfolgen die Anmelder solcher Aufmärsche unabhängig von den Aktivitäten der Gegendemonstranten. Ich halte Gegendemonstrationen im Übrigen für ein unverzichtbares Element der kritischen Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus.

In Brandenburg gibt es als Teil der Strategie gegen Rechts seit Jahren die Mobilen Beratungsteams (MBT), bei denen Sie als politikwissenschaftlicher Berater fungieren. War die Arbeit der MBT erfolgreich?

Die Arbeit des MBT ist in hohem Maße erfolgreich: Die MBTs beraten seit nunmehr über acht Jahren Kommunen, Unternehmen, Ausbildungseinrichtungen, Bürgerinitiativen und einzelne Personen, die sich dem Problem Rechtsextremismus aktiv stellen. Jedes der sechs Kleinteams ist für zwei oder drei Landkreise zuständig. Aus dieser Verwurzelung „in der Furche“ ist eine intensive Kenntnis der jeweiligen regionalen Gegebenheiten erwachsen. Dieses Wissen kommt allen zugute, die sich an das MBT wenden. Das Land Brandenburg, das als einziges Bundesland ein Beratungsteam aus dem Landeshaushalt finanziert, stellt damit unter Beweis, wie wichtig ihm die kontinuierliche, professionelle und regionalspezifische Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus ist. Das hat dazu geführt, dass die einschlägigen Bundesprogramme gleichfalls mobile Beratungsteams eingeführt haben. Das MBT ist ein Exportartikel Brandenburgs geworden.

Nun soll das neue Brandenburgische Institut für Gemeinwesensberatung „Demos“ als Stiftung quasi über die MBT gestellt werden. Die Linkspartei.PDS fürchtet, dass sich dadurch die Arbeit der MBT verschlechtern wird. Zurecht?

Mit der Gründung von „Demos“ wird die bisherige Arbeit des MBT fortgesetzt und erweitert. Auf der organisatorischen Plattform von „Demokratie und Integration Brandenburg e.V.“, den bisherigen Regionalen Arbeitsstellen für Ausländerfragen, Jugendarbeit und Schule (RAA) Brandenburg, wird dieses Institut neben der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus die Stärkung einer demokratischen Bürgergesellschaft unterstützen. Die Befürchtung einer Schwächung der Arbeit ist aus meiner Sicht unbegründet.

In der Bundesregierung herrscht gleichzeitig Uneinigkeit, ob im Kampf gegen Extremismus mehr Gelder gegen Linksextremismus und gegen radikalen Islamismus verwendet werden sollen – Kürzungen von Programmen gegen Rechts sind nicht ausgeschlossen. Wie nehmen Sie diese Diskussion wahr?

Ein Blick in die polizeiliche Kriminalitätsstatistik, in die Verfassungsschutzberichte und die empirische Forschung der politischen Soziologie zeigt uns, dass das bei weitem größte Problem im Bereich des Extremismus nach wie vor der Rechtsextremismus ist. Der Verfassungsschutz wird die anderen Bereiche weiter zu beobachten haben, das gehört zu seinen gesetzlich festgelegten Aufgaben. Der Schwerpunkt der politischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzung sollte aus meiner Sicht allerdings auf dem Rechtsextremismus zu liegen.

Was ist aus ihrer Sicht noch nötig, um Rechtsextremismus in der Gesellschaft zu bekämpfen? Mit staatlichen Förderprogrammen allein kann es doch nicht getan sein?

Eine nachhaltige Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus kann nicht auf die staatliche Repression allein setzen. Auch Gegendemonstrationen – so wichtig sie sind – sind lediglich eine Facette solcher Aktivitäten. Wichtig sind Bildung und Erziehung, die zu einer wirklichen Internalisierung von Werten bei der jungen Generation führen. Zwei Werte haben hier im Vordergrund zu stehen: Respekt vor allen Mitmenschen und Verantwortung für das eigene Gemeinwesen. Das sind ganz offensichtlich keine Aufgaben, die mit zeitlich befristeten Programmen bearbeitet werden können: Das sind Aufgaben, die zum festen Kern des Bildungswesens innerhalb wie außerhalb der Schule und der beruflichen Ausbildung gehören.

Gerade für den Kinder- und Jugendbereich gibt es oft den Vorwurf, dass dort Gelder gestrichen werden. Doch liegt es wirklich an fehlenden Jugendclubs, wenn junge Leute rassistisch denken und handeln?

Wir haben generell das Problem, dass die Kommunen und Kreise ihre gesetzlich vorgeschriebenen Aufgaben etwa im Bereich der Jugendarbeit aus finanziellen Gründen nicht mehr erfüllen können. Das Land Brandenburg hat hier eine erste Abhilfe geschaffen und ein spezielles Landesprogramm aufgelegt. Letztlich aber muss von der Sache her gedacht werden: Wir benötigen für die junge Generation, immerhin die Zukunft dieses Landes, eine nachhaltige Bildung und Erziehung. Neben der Schule brauchen wir Jugendarbeit und außerschulische Bildungsangebote, etwa für junge Leute in den großen außerbetrieblichen Ausbildungseinrichtungen. Wenn die Gemeinden hierfür kein Geld haben, muss über eine Finanzreform nachgedacht werden, die eine verantwortliche und weitsichtige Kinder- und Jugendpolitik ermöglicht. Wer Demokratie und Freiheit am Hindukusch verteidigen kann, sollte bei der Bildung der eigenen Kinder nicht sparen.

Doch wie sollen zum Beispiel Sozialpädagogen auf rechtsextrem denkende Jugendliche reagieren? Das Konzept, extreme Einstellungen in der Jugendarbeit zu akzeptieren, hat sich anscheinend ja nicht bewährt...

Über die angemessenen Konzepte der Arbeit mit jungen Leuten, auch mit rechtsextrem orientierten, wird in Fachkreisen kontinuierlich diskutiert. Das Landesjugendamt Brandenburg etwa arbeitet mit der Landesarbeitsgemeinschaft der Streetworker zusammen, um die Erfahrungen vor Ort zu neuen Konzepten verdichten. Das Konzept der „akzeptierenden Arbeit“ ist in der Öffentlichkeit zu Unrecht polemisch attackiert worden: Es kann keine pädagogische Arbeit geben, ohne die beteiligten Personen zu respektieren - das ist aber etwas anderes, als rechtsextreme Ansichten widerspruchslos durchgehen zu lassen.

Was sollte darüber hinaus bei der Auseinandersetzung mit rechtsextremen Denkstrukturen in der Gesellschaft beachtet werden?

Rechtsextremes Denken ist nicht auf junge Leute beschränkt. Man sollte jede Gelegenheit nutzen, auf der Basis von Sachkenntnis, Rationalität und Logik auch solche Positionen zu diskutieren, die man nicht teilt. Das macht gerade die Stärke der demokratischen Idee aus, dass sie Widerspruch zulässt und aushält.

Was müssen die Medien tun?

Die Medien sollten über Rechtsextremismus sachlich und fair berichten - das ist ihr Auftrag. Dämonisierungen, suggestive Bildverknüpfungen mit dem historischen Nationalsozialismus oder assoziative Verdächtigungen tragen zur Aufklärung in der Sache wenig bei. Nur bei einem kleinen Teil der Rechtsextremen stehen dezidiert völkisch-rassistische Überzeugungen im Hintergrund. Bei vielen ist Rechtsextremismus der politische Ausdruck einer tiefen Unzufriedenheit mit der CDU/SPD und ihrer Sozial- und Arbeitsmarktpolitik. Gute Reportagen erkennt man daran, dass sie „Rechtsextremismus als Symptom“ verstehen und den Gründen für Wahlentscheidungen zugunsten DVU oder NPD nachgehen.

Zurück in die Brandenburger Politik: Hier gibt es immer wieder die heftige Kritik von linken Gruppen an der Politik gegen Rechtsextremismus. Da ist zum Beispiel die von Innenminister Jörg Schönbohm angeführte Gleichsetzung von Links- und Rechtsextremismus...

Es ist ein weit verbreiteter Irrtum zu meinen, man müsse sich irgendwie "links" verstehen, um entschieden gegen Rechtsextremismus Stellung nehmen zu können. Der wirkliche Widerpart von Rechtsextremen sind die überzeugten Demokraten, die für eine offene Gesellschaft und einen liberalen Rechtsstaat eintreten. Das können natürlich rechte oder linke Demokraten sein. Aus der Sicht der Innenbehörden ist die Frage zweitrangig, warum extreme Kräfte unsere politisch-rechtliche Grundordnung angreifen. Insofern ist es Teil der gesetzlichen Auftragslage, Links- und Rechtsextremisten unter dem Gesichtspunkt der von ihnen ausgehenden Gefährdung der bestehenden Ordnung wahrzunehmen.

Was halten Sie von der These einer „Gewaltspirale“ zwischen den beiden Szenen?

Bei dieser Frage sind zwei Sachverhalte zu unterscheiden: Es steht in meiner Sicht außer Frage, dass von der zeitlichen Entwicklung her und hinsichtlich des Umfangs die rechtsextreme Gewalt eine deutliche Priorität hat. Die Gewalt ihrer Gegner ist eine Antwort, die darüber hinaus sehr viel schwächer ist. Eine anderes Problem ist der Automatismus, mit dem von Angehörigen verfeindeter Szenen symbolische, verbale und körperliche Attacken ausgehen. Häufig ist bereits ein szenetypisches T-Shirt der Anlass für Schlägereien. Auch hier kommt es darauf an, Konflikte zu zivilisieren und – wo dies nicht gelingt – das Gewaltmonopol des Staates in Gestalt der Polizei in Anspruch zu nehmen. Eine moralische Besserstellung von Antifa-Gewalt halte ich für unangebracht.

Nach den Wahlerfolgen der NPD in Sachsen und der DVU in Brandenburg ist 2005 zumindest in Brandenburg die Zahl der politisch motivierten Straftaten von Rechts leicht gesunken. Davon einmal abgesehen, ob dies nur ein kurzfristiger Trend ist: Wird es irgendwann einmal eine gänzliche Entwarnung vor dem Phänomen Rechtsextremismus geben können?


Die Forschung ist sich darin einig, dass Rechtsextremismus ein Phänomen ist, auf das man in allen westlichen Gesellschaften trifft; es ist kein typisch deutsches Phänomen. Rechtsextremismus ist ein Kind der Moderne, das gegen seine Eltern rebelliert. Wir können bei dieser Diagnose nicht davon ausgehen, dass es Gesellschaften ohne Rechtsextremismus gibt – ebenso wenig kennen Soziologen eine Gesellschaft ohne Kriminalität. Ziel ist die Reduzierung und die Eindämmung – nicht eine „Beseitigung“. Gesellschaftshygienische Vorstellungen einer absoluten Reinheit sind im übrigen charakteristisch für Diktaturen, sie sind kein Markenzeichen von Demokratie.

Das Interview führte Henri Kramer

Übernahme aus PNN vom 11.04.2006 11.04.2006 http://www.pnn.de/brandenburg/index.asp?gotos=http://archiv.tagesspiegel.de/toolbox-pnn.php?ran=on&url=http://archiv.tagesspiegel.de/archiv/11.04.2006/2465449.pnn#art 

 

 

 

 

 


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