Rechtsextremismus zwischen "Mitte der Gesellschaft" und Gegenkultur
Tagungsband zur Fachtagung des Verfassungsschutzes der Länder Sachsen und Brandenburg am 28. Januar 2013 in Dresden.
"Meine sehr geehrten Damen und Herren,
Rechtsextremismus zwischen Mitte der Gesellschaft und Gegenkultur — das ist das Thema unserer heutigen Veranstaltung.
Zur Frage, wie verbreitet rechtsextremistische Denkmuster in der Mitte der Gesellschaft sind, gibt es eine ganze Reihe von Studien. Nun sind seit jeher die Methodik und Fragestellungen solcher Studien umstritten. Doch davon einmal abgesehen, kommen alle zu einem ähnlichen Ergebnis: Rechtsextremistische Tendenzen nehmen in der Mitte der Gesellschaft zu. Für manche befindet sich die Mitte gar im Umbruch. Interessant ist, dass eine gleichnamige Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung diese Tendenzen nach der jeweiligen Parteipräferenz der Befragten untersucht hat. Dabei stellte sich heraus, Wähler der so genannten Volksparteien CDU und SPD landeten deutschlandweit die meiste Zustimmung zu ausländerfeindlichen Aussagen. Überraschend war auch, dass unter den demokratischen Parteien Parteianhänger der Grünen im Osten Deutschlands am meisten Zustimmung bei Chauvinismus (37,5 %) und Antisemitismus (18,8 %) erzielen.
Meine Damen und Herren, egal für wie aussagekräftig man solche Studien hält, wir sind uns in einem Punkt alle einig – Rechtsextremisten bemühen sich verstärkt um ihren Anschluss an die Mitte der Gesellschaft. Daher kann und darf es uns nicht egal sein, wie anschlussfähig der Rechtsextremismus genau hier ist. Dies gilt insbesondere dann, wenn sich Rechtsextremisten – egal ob NPD oder Freie Kräfte – hinstellen und diese Tendenzen als Erfolg bejubeln.
Aus diesem Grund finde ich die heutige Fachtagung auch so richtig und wichtig. Kernaufgabe des Verfassungsschutzes ist es, sich mit dem Phänomen Extremismus öffentlich und wissenschaftlich auseinanderzusetzen. Sicherlich ist dies mit der Aufklärung und Aufarbeitung rund um den Nationalsozialistischen Untergrund im letzten Jahr etwas in den Hintergrund gerückt. Aber gerade die grausamen Morde des Trios haben gezeigt, diese Auseinandersetzung muss eine neue Qualität bekommen. Wir müssen erklären können, wieso junge Menschen zu Extremisten oder gar Terroristen werden, um daraus abzuleiten, wie wir das verhindern können.
Meine Damen und Herren, uns allen ist klar, niemand wird als Rechtsextremist geboren und nicht jeder mit rassistischen oder fremdenfeindlichen Ansichten ist gleich ein Neonazi.
Hier gilt es natürlich zu differenzieren. Aber dennoch dürfen solche Ansichten selbstverständlich nicht unwidersprochen bleiben, nicht zuletzt, weil sie oft den Keim für rechtsextremistisches Denken und Handeln legen. Auch die Mitte der Gesellschaft ist davor nicht gefeit.
Die Strategie der Rechtsextremisten ist einfach, aber wirkungsvoll. Mit populistischen Aussagen versuchen sie, Anschluss zu schaffen und bedienen dabei Ängste und Unwissen. Sie verführen mit vermeintlich einfachen Antworten auf komplexe Fragen als Wortführer einer gefühlten „schweigenden Mehrheit“. Als Beispiele seien hier die Parolen „Todesstrafe für Kinderschänder“ oder „Deutschenfeindlichkeit durch Ausländer nicht dulden“ genannt. Rechtsextremisten benutzen die Politikverdrossenheit gegen die so genannten etablierten Parteien. Sie dringen dabei auch in gesellschaftliche Räume vor, etwa in Vereine, in die Feuerwehren etc., auch über den Sport versuchen sie, an die Mehrheitsgesellschaft anzudocken. Dem Zeitgeist folgend tarnen sie sich auch als Naturschützer und Ökobauern. Im Medien- und Kommunikationszeitalter bedienen sie sich moderner Kommunikationskanäle und nutzen insbesondere die sozialen Netzwerke. Die Angebote in ihrem Sprachrohr Internet sind technisch und kommunikativ teilweise sehr professionell gemacht und sollen als Türöffner in die (junge) Mitte der Gesellschaft dienen. All das hat mit einer altmodischen Skinhead-Bewegung überhaupt nichts mehr zu tun.
Zum Teil versuchen Rechtsextremisten aber auch gar nicht, getarnte Brücken in die Mitte der Gesellschaft zu errichten. Vielmehr präsentieren sie sich in aggressiver Art und Weise als Gegenmodell zu sämtlichen demokratischen Werten. Und auch diese Strategie zeigt Erfolge.
Meine Damen und Herren, wir müssen erkennen, hier sind alle demokratischen Kräfte gefragt und es bedarf eines gemeinsamen und geschlossenen Vorgehens als Demokraten. Wir müssen mehr Aufklärungsarbeit leisten und Gegenstrategien entwickeln. Wir müssen die Demokratie in der Mitte der Gesellschaft immer wieder festigen. Barack Obama hat das vor wenigen Tagen bei seiner zweiten Amtseinführung sehr schön formuliert: „Freiheit ist ein Geschenk. Es bedarf aber gemeinsamer Anstrengung, sie zu bewahren.“
Der Staat kann auf diesem Feld nicht alleine tätig sein. Die Staatsregierung setzt daher weiterhin vor allem auf die Wachsamkeit und das Engagement eines jeden einzelnen Bürgers. Aus diesem Grund wurde die Förderung des Programms „Weltoffenes Sachsen“ um eine Million auf drei Millionen Euro aufgestockt. Wichtig ist mir aber, die Projekte müssen wirkungsvoll sein. Es reicht nicht aus, einfach nur gegen Nazis zu sein. Es reicht nicht aus, beispielsweise Symbole und Kleidungscodizes zu kennen. Nazis einfach nur als solche zu ächten, ist kein Argument für unsere freiheitliche demokratische Grundordnung. Um die Mitte der Gesellschaft zu stärken, brauchen wir eine inhaltliche Auseinandersetzung mit rechtsextremistischem Gedankengut. Wir müssen deshalb den Menschen immer wieder vor Augen führen, dass Demokratie und Freiheit die besseren Argumente sind.
Das Gute daran ist – es funktioniert. Zu meiner Zeit als Oberbürgermeister in Pirna haben die Stadt, verschiedene Initiativen und Bürger ein Netzwerk gebildet – gemeinsam haben wir nach Lösungen gesucht und diese auch gefunden. Oder das aktuelle Beispiel von Limbach-Oberfrohna, das vor kurzem noch als Nazi-Hot-Spot verschrien war, zeigt, wenn alle gemeinsam aufstehen, ist niemand allein. Und die ganze Stadt ist gegen Rechtsextremismus aufgestanden, es gab beeindruckende Reaktionen aus der ganzen Bevölkerung, rund 500 Schüler haben Projekte vorgestellt. All das ist ein starkes Zeichen aus der Mitte der Gesellschaft.
Mir ist natürlich klar, nicht jeder wird dadurch zum Demokraten. Es gibt in der Szene einen harten Kern, gegen den wir mit aller rechtsstaatlichen Härte vorgehen müssen.
Zivilgesellschaftliche Projekte und Aktionen können letztlich aber auch ein deutliches Signal an die Szene sein: Es ist nie zu spät, dem Rechtsextremismus den Rücken zu kehren. Potenziellen Aussteigern reichen Staat und Gesellschaft die Hand. Seit 2011 gibt es das „Aussteigerprogramm Sachsen“, das bisher gut angenommen wurde.
Meine Damen und Herren, um es noch einmal ganz deutlich zu sagen, es ist eben nicht damit getan, Rechtsextremisten von der Mitte der Gesellschaft fern zu halten. Wir müssen auch verhindern, dass sich Teile der gesellschaftlichen Mitte – aus welchen Gründen auch immer – radikalisieren. Ich erhoffe mir aus diesem Grund sehr viel von der heutigen Fachtagung. Namhafte Experten wurden eingeladen und vertreten ein breites Spektrum aus Wissenschaft und Forschung sowie Gesellschaft und Medien. Wir werden also heute verschiedene Perspektiven auf das Thema eröffnet bekommen. Ich freue mich auch ganz besonders, dass dabei die Kooperation mit dem Land Brandenburg so erfolgreich fortgesetzt werden kann. Das ist jetzt schon die vierte Veranstaltung dieser Art und ich bin zuversichtlich, dass noch weitere folgen werden.
Meine Damen und Herren, ich bin sehr gespannt auf die Beiträge und wünsche uns allen eine anregende Diskussion und hoffentlich viele neue Erkenntnisse.
Herzlichen Dank!"
Grußwort von Markus Ulbig, Sächsischer Staatsminister des Innern, zur Tagung.
Den Tagungsband können Sie unter folgendem Link erhalten:
https://publikationen.sachsen.de/bdb/artikel/19291