Verfassungsschutzbericht 2010
Pressemitteilung des Ministeriums des Innern - Nr. 031/11 vom 25.03.2011
NPD-Strategie gescheitert – Werben um Neonazis – Gewaltbereite Linksextre-misten sabotieren zivilgesellschaftliches Engagement
Potsdam - Der Rechtsextremismus bleibt unter den Bestrebungen gegen die frei-heitliche demokratische Grundordnung für Brandenburg weiterhin die größte Her-ausforderung. Das geht aus dem heute von Innenminister Dietmar Woidke in Potsdam vorgestellten aktuellen Verfassungsschutzbericht hervor. Für das Jahr 2010 wird ein rechtsextremistisches Potenzial von 1.170 Personen festgestellt. Das sind 60 weniger als ein Jahr zuvor. Laut Woidke ist der Rückgang im Wesent-lichen „auf den vollständigen Zusammenbruch der DVU“ zurückzuführen. 2009 zählte die DVU noch 150 Mitglieder, Ende 2010 existierte sie in Brandenburg nicht mehr. Nach der Fusion mit der NPD traten nur knapp 40 DVU-Mitglieder in diese ein. Für die NPD gibt der brandenburgische Verfassungsschutz jetzt 370 (+50) Mitglieder an, darunter 40 (-10) „Junge Nationaldemokraten“ (JN). „Auch wenn die hochtrabenden Pläne der NPD kläglich gescheitert sind, besteht keinerlei Grund für eine Entwarnung, was den Rechtsextremismus in Brandenburg betrifft“, beton-te Woidke.
Mehr Neonazis in Brandenburg
Der gescheiterten NPD-Strategie steht ein Zuwachs von Neonationalsozialisten gegenüber. In Brandenburg werden für 2010 rund 380 Neonazis gezählt, 60 mehr als ein Jahr zuvor. Für die gewaltorientierte und hauptsächlich aus Neonationalsozialisten bestehende Aktionsform „Autonome Nationalisten“ konnten 2010 nur noch etwa 100 Rechtsextremisten mobilisiert werden, 60 weniger als 2009. Mit 450 (-30) ist die Zahl gewaltbereiter, unorganisierter, meist jüngerer Rechtsextre-misten erneut leicht rückläufig.
2010 war die NPD Brandenburg bemüht, ihre Strukturen auf kommunaler Ebene weiter auszubauen. Die Partei will sich damit eine Basis für die Landtagswahl 2014 schaffen. Vorbild sind die vergleichsweise aktiveren und mitgliederstärkeren Landesverbände Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern. Der Innenminister: „In den kommenden Jahren wird die Hauptauseinandersetzung mit dem Rechtsex-tremismus besonders auf kommunaler Ebene geführt werden müssen. Unsere Zivilgesellschaft ist stark genug, die verfassungsfeindliche NPD zu demaskieren und mit einem kräftigen kommunalen Gegenwind erfolgreich in die absolute Be-deutungslosigkeit abzudrängen.“
NPD profitiert nicht vom Aus der DVU
In Brandenburg unterhält die NPD acht Kreisverbände. Hinzu kommen unverändert drei JN-„Stützpunkte. Die Leiterin des Verfassungsschutzes Winfriede Schreiber verwies darauf, dass es der NPD nicht gelungen sei, ihre bisher schwachen Aktivitäten zu steigern. „Ihre Strategie, die Konkurrentin DVU zunächst auszuschalten und später komplett zu übernehmen, ist ins Leere gelaufen. Zwar hat die NPD den Wiedereinzug der DVU in den Landtag verhindert. Doch der Großteil der ehemals 150 brandenburgischen DVU-Mitglieder verweigert sich nun der NPD“, erläuterte Schreiber. Das gelte ebenso für kommunale DVU-Mandatsträger. Von den ursprünglich 24 kommunalen DVU-Mandaten konnte die NPD bis Mitte Februar 2011 gerade einmal zwei übernehmen. Damit kommt die NPD nun auf 27 kommunale Mandate - 17 in Kreistagen und kreisfreien Städten sowie 10 in Gemeindevertretungen. Damit hat die Partei lediglich ihren Stand der Kommunalwahl 2008 wieder erreicht.
Regional unterschiedlich ausgeprägt ist die Zusammenarbeit neonationalsozialis-tischer „Freier Kräfte“ mit der NPD. Dazu Woidke: „Es ist das erklärte Ziel der NPD, ihre Mitglieder- und Strukturschwäche über die Einbindung von Neonatio-nalsozialisten auszugleichen. Sie dienen der Partei als Hilfstruppen und Fußvolk zur Erledigung niederer Aufgaben. Da Neonationalsozialisten eine eindeutige Wesensverwandtschaft mit der NSDAP aufweisen, gerät die NPD immer tiefer in den Strudel einer Nazifizierung.“ Als Scharnierfunktion für die Einbindung neonati-onalsozialistischer „Freier Kräfte“ dienen besonders die JN. In der NPD-Jugendorganisation ist diese Nazifizierung bereits weit vorangeschritten. 2011 kann mit Versuchen der JN gerechnet werden, ihre Strukturen im Land weiter auszubauen.
Wie Schreiber sagte, bemühen sich neonationalsozialistische „Freie Kräfte“ wei-terhin, unabhängig von Parteistrukturen zu agieren und dabei nach außen möglichst lose, internetgestützte Netzwerke zu unterhalten. „Ihre Aktivitäten und ihr Personenpotenzial konnten sie im Jahr 2010 ausdehnen. Entsprechende Aktions-Zellen wurden in acht Regionen des Landes festgestellt. Schwerpunkt ist nach wie vor das südliche Brandenburg.“
Nach den Angaben Schreibers befasst sich der Verfassungsschutzbericht erstma-lig mit dem Thema „Kinder im Visier brandenburgischer Rechtsextremisten“. „Hier muss die Gesellschaft noch genauer hinschauen. Rechtsextremistische Biografien beginnen oftmals schon in der Kindheit und einem entsprechenden familiären Umfeld.“
Keine Akzeptanz für Hass-Bands
Die Anzahl rechtsextremistischer Hass-Bands ist geringfügig auf 22 (-1) zurück-gegangen. Innenminister Woidke wertet es als „ein wichtiges und gutes Signal“, dass es im Land nur noch zu vier Konzerten dieser Gruppen kam, drei weniger als 2009. Hier zahle sich die gute Arbeit der Sicherheitsbehörden aus. Hassmusik sei auch im Zusammenhang mit dem Linksextremismus anzutreffen. „Zivilgesellschaft und Rechtsstaat dürfen nicht akzeptieren, dass solche Bands unverhohlen zu Gewalt beispielsweise gegen Polizisten aufrufen“, hob Woidke hervor.
Im Linksextremismus bleibt das Personenpotenzial mit 615 (+15) nahezu unver-ändert. Diesem Spektrum werden unter anderem 300 (+/-0) gewaltbereite Auto-nome zugerechnet. Sie unterhalten im Land Gruppierungen in 13 Kommunen, einige davon sind nur ansatzweise ausgeprägt. 100 Mitglieder zählt die DKP (+/-0), 170 (+20) die „Rote Hilfe“ und 15 (-5) die MLPD.
Woidke warnte vor einer Unterschätzung linksextremistischer Gefahren. Was da beispielsweise bei Demos provozierend und gewalttätig unter dem Deckmantel von Antifaschismus und ‚Protest’ gegen Neonazis daherkomme, verdiene keinerlei Akzeptanz und Toleranz. „Mit Gewalt gegen Polizisten und andere spielen diese gewaltbereiten Autonomen letztlich den Rechtsextremisten in die Hände und verunsichern die Bürger. Damit sabotieren sie das zivilgesellschaftliche Engagement gegen den Rechtsextremismus“, erklärte Woidke.
Für den Bereich Ausländerextremismus und islamistischer Extremismus gibt der Verfassungsschutzbericht insgesamt 295 Personen (-45) an, darunter 60 (+10) islamistische Extremisten sowie 150 (-50) Anhänger der mit einem Betätigungs-verbot belegten linksextremistischen Kurden-Organisation „KONGRA-GEL“.
6.000 Bürger bei Veranstaltungen des Verfassungsschutzes
Intensiviert wurden 2010 die besonderen Präventionsangebote des Verfassungs-schutzes. In 142 Veranstaltungen wurden Vorträge gehalten. Über 6.000 Bürger nahmen teil. Zielgruppen waren insbesondere Jugendwarte der Feuerwehren, Schüler, Polizisten, Sportler, Mitarbeiter kommunaler Einrichtungen, Zollanwärter, Lehrer und viele mehr. Ausgebaut wurde die strategische Kooperation mit der Polizei, dem „Toleranten Brandenburg“, dem „Institut für Gemeinwesenberatung – demos“, der „Brandenburgischen Kommunalakademie“, dem Landkreistag, dem „Städte- und Gemeindebund“ sowie dem „Aktionsbündnis gegen Gewalt, Rechts-extremismus und Fremdenfeindlichkeit“. 2011 wird das Landesjugendamt hinzu-stoßen.
Ein weiterer Baustein ist die Veranstaltungsreihe „Integration, Radikalisierung und islamistischer Extremismus“ (IRIS). Sie wird in Zusammenarbeit mit der Landesin-tegrationsbeauftragen seit Sommer 2009 in allen Landkreisen und kreisfreien Städten angeboten. Rund 650 Teilnehmer wurden bisher gezählt. Mit IRIS betei-ligte sich der brandenburgische Verfassungsschutz am Integrationswettbewerb 2010 der Deutschen Islamkonferenz. Zwar gehörte IRIS nicht zu den Preisträgern, aber die Jury nahm das bundesweit einmalige Projekt in die engere Wahl und bewertete es als „innovativ und vorbildhaft“. Für Woidke gehört die besondere Präventionsarbeit des Verfassungsschutzes zu dessen zentralen und über die Grenzen des Landes hinaus geschätzten Angeboten. „Daran halten wir auch in Zukunft fest“, versicherte der Innenminister.