Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen auch in abgeänderter Form strafbar
Pressemitteilung Nr. 70/2009 vom 25. Juni 2009 des Bundesverfassungsgerichts (Pressestelle):
Verfassungsbeschwerde gegen Verurteilung wegen Verwendens von
Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen erfolglos
Beschluss vom 18. Mai 2009
Der Beschwerdeführer ist Mitglied der Nationaldemokratischen Partei
Deutschlands (NPD). Vor einer Parteiversammlung der NPD baute er am
Veranstaltungsort Verstärkeranlagen auf. Dabei trug er ein T-Shirt,
welches vorne wie folgt bedruckt war:
„Sohn Frankens,
die Jugend stolz/
die Fahnen hoch".
Die erste Zeile war im Schrifttyp Arial, die beiden anderen Zeilen in
Frakturschrift gedruckt. Wegen dieses Sachverhalts verhängte das
Amtsgericht Forchheim wegen des Verwendens von Kennzeichen
verfassungswidriger Organisationen eine Geldstrafe. Das Gericht
begründete die Verurteilung nach § 86a StGB mit der Ähnlichkeit des
Schriftzugs zum Horst-Wessel-Lied, das ein gängiges
nationalsozialistisches Kennzeichen darstelle. Die gegen diese
Entscheidung eingelegten Rechtsmittel waren erfolglos.
Die 2. Kammer des Zweiten Senats nahm die auf eine Verletzung des
Bestimmtheitsgrundsatzes gestützte Verfassungsbeschwerde nicht zur
Entscheidung an. Art. 103 Abs. 2 GG verpflichtet zwar den Gesetzgeber,
die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, dass
Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände zu erkennen sind
und sich durch Auslegung ermitteln lassen. Gegen diesen Grundsatz haben
die Gerichte bei der Auslegung und Anwendung des § 86a StGB jedoch nicht
verstoßen.
Die Wortkombination „die Fahnen hoch" - bis auf die Verwendung des
Plurals - entspricht dem Titel und dem Textbeginn des
Horst-Wessel-Liedes. Die Feststellung der Gerichte im Ausgangsverfahren,
dass es sich dabei um ein Kennzeichen einer ehemaligen
nationalsozialistischen Organisation handelt, ist verfassungsrechtlich
unbedenklich. Durch die Verwendung des Plurals besteht eine
entsprechende Ähnlichkeit mit Titel und Text des Horst-Wessel-Liedes.
Diese Auslegung übersteigt nicht den am Schutzzweck der Norm
orientierten Wortsinn von § 86a Abs. 2 Satz 2 StGB, der in der Abwehr
der symbolhaft durch die Verwendung eines Kennzeichens ausgedrückten
Wiederbelebung bestimmter Organisationen sowie der symbolhaft
gekennzeichneten Wiederbelebung der von solchen Organisationen
verfolgten Bestrebungen liegt. Es soll bereits jeder Anschein vermieden
werden, in der Bundesrepublik Deutschland gebe es eine
rechtsstaatswidrige politische Entwicklung in dem Sinne, dass
verfassungsfeindliche Bestrebungen in der durch das Kennzeichen
symbolisierten Richtung geduldet würden.
Der Umstand, dass lediglich der Titel und der Anfangstext des
Horst-Wessel-Liedes abgedruckt wurden, steht aus verfassungsrechtlicher
Sicht im konkreten Fall einer Verurteilung nicht entgegen. Die Norm des
§ 86a StGB bezweckt die Vermeidung der Wiederbelebung
nationalsozialistischer Tendenzen infolge des Gebrauchs entsprechend
assoziierungsgeeigneter Symbole. Diese Gefahr besteht aber auch dann,
wenn der Titel sowie derart markante Textteile der parteiamtlichen Hymne
der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP)
wiedergegeben werden. Titel und Textteil haben Wiedererkennungs- und
Identifikationsfunktion. Ein um die Existenz und die Hintergründe des
Horst-Wessel-Liedes wissender Beobachter wird auch die kurze Textpassage
in einen Gesamtkontext einordnen können, so dass - nach einer
Gesamtbetrachtung - die Gefahr der Wiederbelebung
nationalsozialistischer Bestrebungen besteht.
Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvR 2202/08)