Mobiles Beratungsteam Cottbus
19.06.2009
Lausitzer-Rundschau
Die „Starkmacher" aus Forst
Seit elf Jahren arbeiten Mobile Beratungsteams in Brandenburg, um Rechtsextremismus zu bekämpfen und die Demokratie in der Region zu stärken. Zwei Frauen erzählen, wie das in der Praxis funktioniert.
Foto: Lausitzer Rundschau
Das Haus, in dem das Mobile Beratungsteam Cottbus untergebracht ist, hat Charme. Der alte Bau ist von schönem Grün umgeben, er beherbergt eine Kita, die Polizei und das Büro von Anett Müller und Susanne Kschenka. Seit einem Jahr sind die beiden im Auftrag der Demokratie unterwegs. Cottbus sowie die Kreise Spree-Neiße, Elbe-Elster und Oberspreewald-Lausitz gehören zu ihrem Zuständigkeitsbereich. Anett Müller, mit 33 Jahren die Jüngere im Team, ist Sozialpädagogin aus Forst (Spree-Neiße). Zehn Jahre hat sie im Bereich Jugendarbeit unterschiedlichste Erfahrungen gesammelt, dann im Eigenbetrieb für Grundsicherung gearbeitet und sich wegen der Vielfalt der spannenden Aufgaben auf eine freiwerdende Stelle im Beratungsteam beworben. „Weil hier mein berufliches mit dem politischen Engagement gut zusammenspielt", sagt Müller - als Stadtverordnete in Forst versucht sie, ähnliche Ziele zu erreichen wie in ihrem Arbeitsalltag.
Nahe am Richterberuf
Susanne Kschenka kommt aus einer kirchlichen Familie. „Meinen Traumberuf Richter konnte ich deshalb zu DDR-Zeiten nicht ansteuern", sagt sie. Also studierte sie Kirchenrecht, war sehr aktiv in der Aktion Sühnezeichen und lernte in der Jugendgruppe ihrer Forster Heimatkirche sehr früh, wie Demokratie funktioniert. „Das war unglaublich prägend", sagt die Juristin im Rückblick. „Mitbestimmung, Eigenverantwortung, Selbstwirksamkeit zu erfahren war enorm wichtig." Diese Gestaltungskraft konnte sich politisch in der Wendezeit entfalten, spiegelt sich auch später in der Biografie Susanne Kschenkas wider. Sie holte ihr juristisches Referendariat unter West-Bedingungen nach, arbeitete in der Oberfinanzdirektion und entschied dann, ein reiner Schreibtischjob sei auf Dauer nicht erfüllend genug. Also studierte sie Mediation, was dem Richterberuf sehr nahe kommt.
„Jetzt im Beratungsteam kann ich alles einbringen, was ich in meinem Leben gelernt habe", sagt sie voller Strahlen. „Politisch, menschlich, juristisch - alles wird gebraucht." Ein Traumjob also, der nur einen kleinen Haken hat. „Wir müssen uns immer zwingen, auch mal Feierabend zu machen", sagt Anett Müller. „Denn jedes Thema und jeder Fall ist so reizvoll, dass man gern immer mehr in die Tiefe arbeiten möchte." Die Aufgabenpalette ist breit. Ortsbürgermeister, die Probleme mit einem Jugendklub haben, Sporttrainer, Feuerwehrgruppen, Parteien - alle wollen wissen, wie es denn funktionieren kann mit der Demokratie. Denn die kommt immer dann ins Spiel, wenn wieder irgendwo Hakenkreuzschmierereien auftauchen, wenn in einem Klub rechtsextreme Musik gehört wird, wenn Ausländer sich irgendwo nicht mehr auf die Straße trauen oder Eltern Angst haben, ihre Kinder an braune Bauernfänger zu verlieren. „Dann klingelt bei uns das Telefon", sagt Anett Müller, „und wir sollen kommen und die Probleme irgendwie wegmachen." Die beiden Frauen sehen sich aber nicht als „Wegmacher", eher schon als „Starkmacher". Zeigen, wie man selbst Probleme anpacken kann - das ist ihr Credo. „Wenn ein Bürgermeister bei uns anfragt, ob die Musik, die im örtlichen Jugendklub läuft, noch okay ist, dann müssen wir natürlich erstmal hinfahren und uns umhören", erzählt Anett Müller aus ihrer Berufspraxis.
Nicht „einfach wegmachen"
Zunächst müssen die Frauen vom Team herausfinden, ob und wie stark die Jugendlichen in die rechte Szene integriert sind. „Dann setzen wir uns mit dem Bürgermeister zusammen und gucken, was er tun kann. Sich Mitstreiter suchen, die auf seiner Seite sind und die mit den jungen Leuten arbeiten." Denn „einfach wegmachen" könne man weder die Menschen noch ihre Gedanken. „Aber wenn wir rausfinden, was den Leuten fehlt, woran sie Interesse haben und wie sie selbst ihren Alltag verändern möchten, dann kommen ganz viele Prozesse in Gang, die nichts mehr zu tun haben mit rechten Gedanken", weiß Susanne Kschenka. Sie erzählt von einem spannenden Thema, dass sie immer wieder gern mit ihren „Klienten" bespricht. „Sie sollen sich vorstellen, vier Menschen bräuchten dringend eine Nierentransplantation: ein junges Mädchen, ein reicher Unternehmer, ein Häftling und eine Frau, die einen behinderten Ehemann pflegt. Es gibt nur eine Niere. Wer bekommt sie? Wer darf das entscheiden? Nach welchen Kriterien?" Es sei faszinierend, den Diskussionen der Jugendlichen zuzuhören, sagt Anett Müller. „Sie wissen tatsächlich oft gar nicht, dass in unserem Land ein Gesetz gilt, nach dem alle Menschen gleich zu behandeln sind. Und wenn sie von diesem Grundgesetz hören und erfahren, wie sich das konkret im Alltag auswirken kann, sind sie schon sehr beeindruckt."
All das sind kleine Bausteine, die in mühsamer langwieriger Arbeit zusammengesetzt werden müssen. Irgendwann aber, da sind sich Anett Müller und Susanne Kschenka sicher, irgendwann wird ein solides Fundament daraus, auf dem die Gesellschaft sicheren Stand hat. „Und deshalb ist unser Job auch so wunderbar. Weil er ein Ziel hat, das uns Tag für Tag begeistert."
Von Andrea Hilscher
Mehr Informationen:
demos - Brandenburgisches
Institut für
Gemeinwesenberatung
Geschäftsführer: Dirk Wilking
Benzstr. 11-12
14482 Potsdam
Tel.: 0331 740 6246, 0173 646 8863
Fax: 0331 740 6247
wilking@BIG-demos.de
http://www.gemeinwesenberatung-demos.de
Mobiles Beratungsteam Cottbus,
Friedensplatz 6, 03058 Cottbus OT Gallinchen
Frau Susanne Kschenka, Tel.: 0170 525 5991
Frau Anett Müller, Tel.: 0171 535 6646
Tel.: 0355 430 2441
Fax: 0355 499 3750
mbt-cottbus@BIG-demos.de